“Wie nehmen Ärztinnen und Ärzte an Krankenhäusern in Baden-Württemberg ihre stressbezogenen Arbeitsbedingungen wahr?” So lautete die Fragestellung der Untersuchung, die Mediziner am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Goethe-Universität Fankfurt am Main durchführten. Der Studie zufolge sind insbesondere Assistenzärzte betroffen. Des Weiteren litten die weiblichen Ärzte im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen mehr unter dem Klinikalltag. Insgesamt sinke der Stress jedoch mit jeder Stufe, die Mediziner auf der Karriereleiter nach oben steigen.
Mehr als 2000 Klinikärzte haben anonym einen Online-Fragebogen ausgefüllt. Die Wissenschaftler maßen den gesundheitsschädigenden Berufsstress zum einen nach dem Job-Demand-Control-Modell: “Danach liegt negativer Stress, sogenannter Disstress, vor, wenn die Arbeitsanforderungen größer sind als die eigenen Handlungsspielräume”, erläutert Erstautor Jan Bauer. Zum anderen maßen sie ihn nach dem so genannten Effort-Reward-Imbalance-Modell: Hier komme es zum Disstress, wenn der selbst wahrgenommene Einsatz in der Arbeit nicht zu der entsprechend erwarteten Belohnung führt.
Der Umfrage zufolge lagen die Voraussetzungen für einen auf Dauer ungesunden Stress bei gut 55 Prozent der befragten Mediziner vor. Ärztinnen waren dabei häufiger betroffen. Sie litten zu rund 60 Prozent unter ihrem Berufsalltag. 64 Prozent der Assistenzärzte empfanden die Belastungen zu Beginn der beruflichen Laufbahn als besonders hoch. Diese Situation verbesserte sich mit dem beruflichen Aufstieg. So litten von den Fachärzten noch rund 54 Prozent unter Disstress, bei den Oberärzten waren es 46 Prozent. Von den Chefärzten empfanden nur noch knapp 25 Prozent ihre Arbeitsbedingungen als belastend.
Trotzdem gaben die meisten Ärzte an, mit ihrem Beruf zufrieden zu sein. “Es ist anzunehmen, dass der soziale Rückhalt und die Bestätigung durch Patienten ihnen hilft, den Disstress zu ertragen”, so Co-Autor Professor Groneberg. Gesund ist diese Situation trotzdem nicht. Denn anhaltender Stress führt zu Nervosität, Albträumen, Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit.
Die beiden Autoren fordern deshalb: “Die Arbeitsbedingungen müssen den Bedürfnissen der Beschäftigten angepasst werden, damit der Arbeitsplatz Krankenhaus seine Attraktivität nicht verliert. Vor allem der Berufseinstieg muss erleichtert werden, da gerade hier das größte Stresspotenzial vorliegt.” Andernfalls könne sich das bereits bestehende Versorgungsproblem durch eine Abwanderung junger Ärzte ins Ausland weiter verschärfen.
Der Erstautor Jan Bauer und Co-Autor David Groneberg gewannen mit der Studie den diesjährigen Siegenthaler Preis. Dieser wird seit 15 Jahren von der Zeitschrift DMW verliehen und zeichnet Autoren aus, deren Forschungsarbeit im Vorjahr in der DMW publiziert wurden. Er ist mit 5.000 dotiert.